34 - IBA Aktive Bahnhöfe

Von Durchgangsorten zu Treffpunkten
  • Projektträger

    IBA Basel, Badischer Bahnhof (CH / DE) (Kanton Basel-Stadt), Bahnhof Bad Bellingen und Rheinweiler (DE) (Gemeinde Bad Bellingen), Bad Säckingen (DE) (Stadt Bad Säckingen), Gare de Bartenheim (FR) (Commune Bartenheim, SLA), DB - Deutsche Bahn, Bahnhof Grenzach und Wyhlen (DE) (Gemeinde Grenzach-Wyhlen), Bahnhof Liestal (CH) (Stadt Liestal), Landkreis Lörrach (DE), Hauptbahnhof Lörrach (Stadt Lörrach, DE), Bahnhof Möhlin (CH) (Gemeinde Möhlin / Stadt Rheinfelden), Bahnhof Münchenstein (CH) (Gemeinde Münchenstein), Gare de Mulhouse Dornach (FR) (Ville de Mulhouse), Bahnhof Rheinfelden (DE) (Stadt Rheinfelden (Baden)), Gare de Sierentz (FR) (Ville de Sierentz, SLA), Gare de Saint-Louis (FR) (Ville de Saint-Louis, SLA), Saint-Louis Agglomeration (SLA)(FR), SBB - Schweizerische Bundes Bahnen (CH), SNCF - Société nationale des chemins de fer français (FR), Bahnhof Stein (CH) (Gemeinde Stein), trireno (CH), triRegio (Tarifverbund Nordwestschweiz) (CH), Bahnhof Wehr-Brennet (DE) (Stadt Wehr)

«Verkehrspolitik ist Siedlungspolitik*», schreibt Paul Schneeberger, Leiter Verkehrspolitik und Politmonitoring beim Schweizerischen Städteverband. Er hat die Verzahnung von Infrastrukturund Siedlungsentwicklung erkannt. Hier setzt auch die Projektgruppe IBA Aktive Bahnhöfe an: Im Metropolitanraum Basel sollen die Haltepunkte der trinationalen S-Bahn von reinen Durchgangs- und Umsteigepunkten zu Orten des Zusammenlebens entwickelt werden, bestenfalls inmitten durchmischter Stadtquartiere gelegen und verknüpft mit Bussen, Trams und dem Fuss- und Radwegenetz.

Schon im 19. Jahrhundert brachten drei Bahnlinien Pendler*innen sowie Waren aus dem Umland über die Landesgrenzen hinweg in die Stadt Basel. Nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte sich die Verkehrspolitik. Durch die Erschwinglichkeit des Automobils für den Mittelstand verlagerte sich der Verkehr von der Schiene auf die Strasse. Die Städte wurden autogerecht umgebaut. Was damals fortschrittlich schien und heute schlicht Alltagsrealität ist – immerhin werden in Deutschland, Frankreich und der Schweiz nach wie vor zwei Drittel bis drei Viertel der Personenkilometer im Auto zurückgelegt – zeigt zunehmend negative Auswirkungen: Stau und Zersiedlung, zugeparkte Freiräume und verwaiste Dorfkerne, erhöhte CO₂- und Feinstaubbelastungen. Kein Wunder, gilt die Trendwende zum öffentlichen Verkehr als europaweites Ziel für eine klimatauglichere und lebenswertere Raumpolitik. Nach Städten wie Amsterdam und Kopenhagen ziehen auch Barcelona und Sevilla, Bordeaux und Strasbourg, Berlin und Hamburg inzwischen nach. Im Metropolitanraum Basel erschwert die Grenzlage eine verkehrspolitische Neuausrichtung. Während des Ersten Weltkriegs wurden bestehende Verbindungen gekappt und Zollbestimmungen etabliert, die den vormals einfachen Personen- und Warenverkehr zunehmend erschwerten. Heute gibt es zwar ein S-Bahn-Netz, das den 70.000 Grenzgänger* innen, die täglich aus dem Elsass (FR) und aus Südbaden (DE) in die Nordwestschweiz pendeln, eine Alternative zum Auto bietet. Allerdings fehlen an den Haltestellen häufig Anschlussmobilität wie Car- oder Bikesharing, um den letzten Kilometer zu bewältigen. Trinationale Sharingsysteme, die auf die Nutzer*innen im Dreiland ausgerichtet sind und in allen drei Ländern gleichermassen genutzt werden können, existieren derzeit noch nicht. Die Ausgangslagen sind dabei denkbar verschieden: Das Spektrum reicht vom verlassenen und maroden Dorfbahnhof im Privatbesitz, dessen ortsbauliches Potenzial die zuständigen Beamt*innen sowie Besitzer* innen erst erkennen, bis zum lebendigen Grossbahnhof in der Hand einer nationalen Bahngesellschaft mit klarer Immobilienstrategie und starkem Planungsamt im Rücken. Die Planungsrealität im trinationalen Raum besteht in komplexen Akteurskonstellationen und ungleichen Kräfteverhältnissen. Drei Länder und drei nationale Bahngesellschaften bedeuten unterschiedlichste Nutzungs- und Planungsrechte. Dies machte bisher eine gesamthafte Strategie unmöglich, die über die Definition von Verkehrskorridoren und den Bau von Infrastrukturen hinausging. Besonders betroffen sind davon kleinere Gemeinden, die selten fähig sind, ihre Bahnhofsgebäude oder deren Umfeld aus eigener Kraft auszubauen oder eine Anschlussmobilität bereitzustellen. Hier soll die Projektgruppe der IBA Aktiven Bahnhöfe langfristig, über den Zeithorizont der IBA Basel hinaus, zu deutlichen Verbesserungen der Rahmenbedingungen beitragen. Um die Attraktivität und Aufenthaltsqualität der Bahnhöfe zu verbessern, agieren die IBA Aktiven Bahnhöfe auf drei Ebenen: die Verbesserung der Orientierung an den Bahnhöfen, die Optimierung von Anschlussmobilität und kommerzielle wie sozio-kulturelle Angebote sowie die Entwicklung qualitativer Quartiere um die Bahnhöfe.

Verbesserung der Orientierung – Schlüsselrolle Signaletik

Der trinationale Raum ist eine gelebte Realität. Viele Menschen benutzen die grenzüberschreitende SBahn so selbstverständlich wie Stadtbewohner*innen das Tram. Doch während bei Letzteren an jeder Station dieselben Fahrpläne zu finden sind, erwarten Grenzgänger*innen je nach Bahnhof fast keine, mitnichten einheitlich konzipierte und gestaltete Informationen. Trotz unterschiedlicher Bahngesellschaften und Besitzstrukturen eine einheitliche Signaletik zu etablieren, wäre ein grosser Gewinn für alle. In Zusammenarbeit mit den drei nationalen Bahngesellschaften DB (DE), SNCF (FR) und SBB (CH) mit der IBA Basel entstanden zweisprachige, gestaltete Informationsträger zum öffentlichen Verkehrsnetz und den Tarifen. Zudem erleichtern Stadt- und Bahnhofspläne die Orientierung an den Bahnhöfen selbst und in ihrem Umfeld. Die volle Wirkung wird sich erst entfalten, wenn sämtliche 108 Bahnhöfe des Metropolitanraums Basel die Elemente verwenden. Der Anfang dafür ist gemacht: Zum Fahrplanwechsel 2019 installierten 14 Standorte die Informations- und Signaletikelemente, namentlich Basel Badischer Bahnhof (CH / DE), Bartenheim (FR), Bad Bellingen (DE), Grenzach (DE), Lörrach (DE), Münchenstein (CH), Rheinfelden (Baden) (DE), Rheinweiler (DE), Saint- Louis (FR), Bad Säckingen (DE), Sierentz (FR), Stein (CH), Wehr-Brennet (DE) und Wyhlen (DE).

Verbesserung der Anschlussmobilität

IBA Aktive Bahnhöfe sind nicht bloss Gleisfelder mit Parkplätzen, sondern vielseitige Mobilitätsdrehscheiben. Im 21. Jahrhundert muss der Anschluss an Tram- und Buslinien so selbstverständlich sein wie die Vernetzung mit Fuss- und Radwegen, ergänzt durch entsprechende Verleihangebote. Am Bahnhof Saint-Louis in Frankreich wurde die Anschlussmobilität erheblich verbessert. Einerseits durch die Verlängerung der aus Basel kommenden Tram 3 bis zum Bahnhof Saint-Louis (FR), andererseits durch die Errichtung eines Park+Ride am Bahnhof selbst. Somit ist der Bahnhof Saint-Louis (FR) zu einer neuen wichtigen Mobilitätsdrehscheibe in der trinationalen Region geworden. Diese Aufgabe als Verkehrsdrehscheibe von zentraler Bedeutung erfüllen der Bahnhof Liestal (CH) und der Badische Bahnhof (CH / DE) in Basel schon heute. Die Zentrumsfunktion Liestals (CH) für die umliegenden Gemeinden wird durch den Vierspurausbau der Gleisanlagen der SBB und die Umgestaltung des Bahnhofs bis 2025 gestärkt. Der Badische Bahnhof (CH / DE) wird mit dem «Herzstück», einer bis 2035 geplanten Durchgangslinie, zum trinational bedeutenden Verkehrsknoten. Das Projekt verbindet den Bahnhof Basel SBB unterirdisch mit dem Badischen Bahnhof (CH / DE), wodurch der De-facto-Kopfbahnhof im S-Bahn-Netz zum Durchgangsbahnhof wird. Zugleich sind Ausbauten als Durchgangs- und Umsteigebahnhof für internationale Bahnverbindungen geplant sowie bessere Anschlüsse an das städtische Tram- und Busnetz. In Basel, Lörrach (DE), Saint-Louis (FR) oder Liestal (CH) ist der letzte Kilometer mit dem öffentlichen Verkehr vom Bahnhof kein Problem. An allen anderen Bahnhöfen gestaltet sich dies, durch den weniger eng getakteten Fahrplan des öffentlichen Verkehrs, eher schwierig. Abhilfe schafft hier die Vision des trinationalen Radverleihsystems. Die heutigen Radverleihsysteme enden an den Landesgrenzen. Das Fernziel ist ein trinationales Verleihsystem an den Bahnhöfen und entlang des Rheins, einem der wichtigsten Naherholungsräume der Region. Der Pilotversuch eines grenzüberschreitend nutzbaren Radverleihsystems zwischen Bad Säckingen (DE) und Stein (CH) ist geplant und dient als Initialprojekt für ein mögliches Roll-out in der Region. Idealerweise können die Nutzer*innen in Zukunft ein Rad an jedem beliebigen Bahnhof ausleihen und zurückgeben.

Quartiere mit Lebensqualität

Massgeschneiderte Innenentwicklungen und Nutzungskonzepte sollen die Bahnhöfe als zentrale Knotenpunkte in der Agglomeration stärken. So entsteht am Bahnhof Saint-Louis (FR) mit dem Quartier du Lys ein neues Geschäftsviertel mit direkter Bahnund Tramanbindung. Von ähnlicher Grössenordnung ist der Entwicklungsschwerpunkt Rheinfelden / Möhlin (CH) beim Bahnhof Möhlin (CH). Neben Wohn- und Geschäftsbebauung könnte dort eventuell zukünftig das neue Gymnasium Fricktal (CH) angesiedelt sein. Auch in Grenzach (DE) entsteht ein neues, gemischt genutztes Quartier mit direkter Anbindung an die Bahn. Das IBA Projekt Neue Mitte Grenzach sieht auf einer Fläche von zwei Hektar in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof Geschäftsflächen, bezahlbaren Wohnraum, Alterswohnungen sowie öffentliche Einrichtungen und Freiräume vor. An anderen Bahnhöfen sind solche Entwicklungspotenziale nicht gegeben, dennoch besteht die Möglichkeit, mit alternativen Nutzungskonzepten die Attraktivität der öffentlichen Verkehrsmittel zu steigern. So zum Beispiel an den Bahnhöfen in Sierentz (FR) und Münchenstein (CH), deren Bahnhofsbauten heute leer stehen. Da die herkömmlichen Nutzungskonzepte der Bahngesellschaft nicht greifen, sind alternative Konzepte in Arbeit. Ein «Nutzungs-Kit» in Form einer Liste von Serviceleistungen – Abholen und Hinbringen, Produzieren und Konsumieren, Reparieren und Kultur – orientiert sich an den Bedürfnissen von Pendler*innen, Reisenden, Sporttreibenden sowie Quartiersbewohner*innen. Ein hinsichtlich lokaler Gegebenheiten konzipierter Mix von Serviceleistungen soll den Bahnhofsgebäuden neues Leben einhauchen und die Flächen wieder in Wert setzen. Da solche Umnutzungen häufig langwierig sind, wurden auch andere Arten der Aktivierung getestet. Dank temporärer Massnahmen liessen sich spätere Nutzungen testen und die Bevölkerung mit in die Projektplanung einbeziehen. Seit 2018 bespielte so jedes Jahr eine Aktionswoche unter dem Titel «Wir machen Platz» den Bahnhofsvorplatz Lörrach (DE) mit Veranstaltungen und Beteiligungsworkshops. Dies soll auch an anderen Bahnhöfen erprobt werden.

Aktives Netzwerk

Die Projektgruppe IBA Aktive Bahnhöfe hat sich schrittweise entwickelt: Zum Start der IBA Basel befassten sich drei Projekte mit der Entwicklung von Bahnhöfen und ihrem Umfeld. Mit der Charta «IBA Aktive Bahnhöfe» konnten weitere Bahnhöfe akquiriert werden. Mit den drei Studien zum Thema «Siedlungspotenziale entlang der Hochrheinstrecke», welche die IBA in den Jahren 2014 / 2015 im Rahmen der geplanten Elektrifizierung der Hochrheinstrecke durchführte, nahm das Projekt weiter Fahrt auf. Weitere Gemeinden aus Deutschland und der Schweiz, überzeugt vom Potenzial ihrer Bahnhöfe, schlossen sich der Projektgruppe an. Mit der gross angelegten Onlinebefragung 2016 zu den IBA Aktiven Bahnhöfen wurde deren Strategie nochmals geschärft und aufgezeigt, dass sich die Nutzer*innen die Verbesserungen im Bereich attraktive Wegverbindung für den Langsamverkehr, Umsteigebeziehung und Orientierung, Dienstleistungsangebot und Ausstattung wünschen. Heute zählt die Projektgruppe 17 Bahnhöfe in drei Ländern. In regelmässigen Arbeitstreffen, organisiert von der IBA Basel, tauschten die Gemeinden Wissen aus und erarbeiteten gemeinsame Ziele und Projekte zur Optimierung einzelner Bahnhöfe. So entstand ein Netzwerk, in dem sie gegenüber den Betreibern und den nationalen Bahnund Tarifgesellschaften gemeinsam auftreten und ihre Anliegen vertreten. Letztlich ist die Projektgruppe auch ein Versuch, den Gemeinden mit geteilten Zielen und einer gemeinsamen Marke Gehör zu verschaffen.

Vision IBA Aktive Bahnhöfe 2050

Sich grenzenlos zu bewegen wird der trinationalen Bevölkerung aufgrund eines einheitlichen Tarifgebiets im Dreiländereck* und der Fertigstellung des Herzstücks* zwischen Bahnhof SBB (CH) und Badischem Bahnhof (CH / DE) leicht gemacht. Der Metropolitanraum Basel und seine Bewohner*innen rücken dadurch näher zusammen. Neu gibt es eine Vielzahl direkter S-Bahn-Verbindungen zwischen Deutschland, der Schweiz und Frankreich. Die Bevölkerung aus Mulhouse (FR) kann direkt an der Schifflände im Zentrum von Basel aussteigen, um die Basler Fasnacht zu besuchen. Die S-Bahn aus dem Wiesental (DE) bringt die Lörracher direkt ins Thermalbad Sole Uno in Rheinfelden (CH). Viele Ferienhungrige fahren mit der Bahn an den EuroAirport. Mit Angeboten wie Gastronomie, Einkaufsmöglichkeiten, trinationalem E-Bike-Verleih, Touristeninformation, Kultur und der Entwicklung von Wohn- und Arbeitsraum im unmittelbaren Bahnhofsumfeld wurde die Attraktivität der Bahnhöfe für Pendler*innen, Quartierbewohner*innen sowie Tourist*innen gesteigert. Beispielhaft steht hierfür die realisierte Zentrumsentwicklung Neue Mitte Grenzach beim Bahnhof Grenzach (DE).

*Zitatverweis: SCHNEEBERGER, Paul, DAUM, Matthias. Daheim – eine Reise durch die Agglomeration. Zurich : Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2013. p. 38.

Perimeter

Metropolitanraum Basel (CH)

 

Dieser Artikel ist ein Auszug aus der IBA Fachpublikation «Gemeinsam Grenzen überschreiten».